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Der Beruf Tierarzt

Der Beruf Tierarzt

06.07.2013 12:12

Viele von uns wollten Tierärzte werden, um Tieren besser helfen zu können. Doch was ist nach Studium, Praktika und jahrelanger Praxistätigkeit aus die¬sem Vorhaben geworden?


Viele von uns wollten Tierärzte werden, um Tieren besser helfen zu können. Doch was ist nach Studium, Praktika und jahrelanger Praxistätigkeit aus die¬sem Vorhaben geworden? Vor Studien¬beginn warnte mich ein Tierarzt: „Wenn Du Tieren helfen willst, dann solltest Du nicht Tierarzt werden. Ich würde den Beruf nicht noch einmal wählen."

Bei meinen Praktika sah ich viele Pro¬bleme bedingt durch Haltung und Nut¬zung:

• Verletzungen von Schweinen und Kühen durch glatte Spaltenböden • innerartliche Aggressionen

• schmerzhafte Klauenbehandlungen im Zwangsstand

• Milchkühe mit überforderungsbe¬dingten Stoffwechselerkrankungen • Saugkälber, die nach der Geburt den Kühen entrissen werden

• sterbende durchfallkranke Kälber, deren Behandlung nicht „lohnte" • Schweine und Pferde, die nur mit tierärztlicher Unterstützung noch ein bisschen weitergenutzt werden konnten

• Katzen in erbärmlichem Zustand, Zwinger- oder Kettenhunde und un¬zählige Kaninchen, die nach lebens¬langer Einzelhaft in engen Käfigen die Schlachtung erwartete, setzten eine lange Liste tierischer Leidens¬wege fort.

Wenn ein Tier dauerhaft und stark lei¬det, das Leiden die Lebensqualität deut¬lich übertrifft und auch durch Überwei¬sung an andere Tierärzte keine Aussicht auf Besserung besteht, dann töte ich Tiere, um ihnen Leiden zu ersparen.

Im tierärztlichen Arbeitsalltag fallen allerdings häufig Tätigkeiten an, die ich aus Tierschutzsicht für problematisch halte.

Natürlich können wir nicht alle unge¬liebten Tiere umsonst behandeln, behal¬ten oder dies von Tierschutzorganisatio¬nen verlangen. Was machen wir mit dem 12-jährigen Hund, schwer er¬

krankt, dessen Mensch dies aber nicht bemerkt hat. Eine „Aufbauspritze" wird nicht reichen. Der Halter kann oder will nicht verstehen, dass weiterführende Untersuchungen und viele hundert Euro nötig sind, das Tier möglicherweise aber trotzdem stirbt. Eine in der Humanme¬dizin normale Situation, die in der Tier¬medizin nicht selten zu Aussagen führt, wie „der Tierarzt hat mir das Geld aus der Tasche gezogen. Ein anderer hat so¬fort erkannt, dass man da nichts machen kann und das Tier erlöst, statt es mit ei¬ner Therapie zu quälen."

Auch Tierhalter, deren Tier geheilt wer¬den konnte, sind nicht immer zufrieden. Mancher hätte einen Tierarzt bevorzugt, der kurzen Prozess macht. Er wird nicht wiederkommen, wenn der Kater erneut einen Harnröhrenverschluss hat, denn er wünscht eine einfache Entsorgung und kein schlechtes Gewissen.

Rassetiere stellen aufgrund rasserypi¬scher Krankheiten einen großen Teil un¬serer Patienten dar und verschaffen uns einigen Umsatz. Doch angesichts über¬füllter Tierheime ist unkritisches Mitwir¬ken bei der Produktion weiterer, häufig rassebedingt leidender Tiere (Perserkat¬zen, Zwergkaninchen, Schäferhunde u.v.a.) nicht im Interesse der Tiere.

Über die Gedankengänge von Tierärz¬ten, die ohne Therapieversuch Jung¬hunde wegen einer Hüftgelenksdyspla¬sie oder stressmarkierende „undank¬bare" Katzen töten, lässt sich nur spekulieren.

Eine Tierschutzorganisation wird regel¬mäßig von einer Klinik vor die Wahl ge¬stellt, Behandlungskosten für lebensfä¬hige Tiere zu übernehmen, anderenfalls würden die Tiere getötet.

Die Annahme, als Tierarzt sei man auto¬matisch tierlieb, ist nicht haltbar. Und leider haben wir umso weniger Ärger und verdienen umso besser, je häufiger wir tierschutzrelevante Situationen ig¬norieren.

Natürlich gibt es Tierärzte, die sich nach Kräften um Tiere bemühen. Aufgrund meiner Erfahrungen (auch in anderen

Praxen) glaube ich allerdings, dass wir unseren Lebensunterhalt nur sichern können, wenn wir Zugeständnisse zu Ungunsten von Tieren machen. Dabei hat jeder eine andere Schmerzgrenze.

Wie reagieren Sie, wenn der Kunde den Kaiserschnitt des Kaninchens oder die Verhaltensberatung bezüglich des Hun¬des, der gebissen oder vielleicht nur ge¬schnappt hat, nicht will - sondern von Ihnen die schnelle Lösung verlangt?

Das Töten lebensfähiger Tiere wird z.B. folgendermaßen kommentiert: „wenn ich diese Tiere nicht töte, dann tut es mein Nachbarkollege", „Ich muss mein Haus abbezahlen - ein unzufriedener Kunde nimmt aber viele andere mit", „Wer weiß, was der Tierhalter mit dem Tier macht - ich töte es lieber, das ist Tierschutz". Gerne wird das Töten als „Einschläfern" verniedlicht oder als „Eu¬thanasie" verherrlicht.

Muss man nicht, falls ein Tierhalter die Therapie ablehnt, dafür sorgen, dass das Veterinäramt zuverlässig aktiv wird? Und auch das Schicksal der Unfallkatze, die zur Operation überwiesen, nie in der Klinik vorgestellt wurde, muss über¬prüft werden. Oft spart die Diagnose „unheilbar" Ärger und Zeit, dies mag manchem verlockend erscheinen.

Wirft man innerhalb der Tierärzteschaft tierschutzrelevante Fragen auf, so muss man mit persönlichen Angriffen aus den eigenen Reihen rechnen. Wagt man es gar, die ethische Vertretbarkeit be¬stimmter Tiernutzungen und die Mensch-Tier-Beziehungen generell zu thematisieren, muss man auf extrem ag¬gressive Reaktionen gefasst sein. Einige Kollegen und Tierarzthelferinnen wagen aus Angst vor persönlichen Anfeindun¬gen nicht, sich öffentlich zu äußern. Auch in Tierarztpraxen möchte mancher nicht als tierschutzengagiert geoutet werden.

Erklärt man anlässlich eines Bewer¬bungsgespräches, man werde keine le¬bensfähigen Tiere töten, tierschutzwid¬rige Situationen jedoch ansprechen, schwindet die Chance auf Einstellung enorm.



Ich finde diese Entwicklung gerade für unseren Berufsstand besonders pein¬lich. Wir nennen uns Tier„ärzte", haben eine enorme Macht über Leben und Tod, Wohl und Wehe von Tieren. Sollten nicht gerade wir uns immer wieder und an allen Stellen wo Tieren Unheil droht einmischen? Dabei sollten die weniger wortgewandten unter uns keine Angst vor persönlichen Angriffen eloquenter „Kollegen" haben müssen.

Auf einer „Tierschutz"-Tagung für Tier¬experimentatoren wurde zwei Tage über Tierversuche gesprochen, nur das Leiden der Tiere wurde ausgeklammert, obwohl es offiziell Tagungsthema war! Einige Tierexperimentatoren gaben im Zwiegespräch in der Pause zu, ihre Tä¬tigkeit habe zu Abstumpfung geführt und sie nähmen die Leiden der Ver¬suchstiere nicht mehr so wahr.

Stereotyp wird behauptet, der Bürger habe sich für Tierversuche entschieden. Ihm werden jedoch die wichtigsten Tat¬sachen über Tierversuche verschwie¬gen. Beispielsweise fehlt eine Daten¬bank mit Informationen über sämtliche stattgefundenen Tierversuche, die da¬durch verursachten Kosten oder die er¬zielten Erfolge für die Gesundheit des Menschen. Der unzensierte Blick des Steuerzahlers in die alltägliche Labor¬praxis ist nicht möglich. Wer öffentliche Gelder beansprucht, muss sich der Kri¬tik der Öffentlichkeit stellen und das setzt Transparenz voraus.

Viele Tierärzte haben Tierversuche als Arbeitsgebiet gewählt. Dabei suggeriert unsere Berufsbezeichnung wir seien das für Tiere, was Ärzte für Menschen sind. Aber wer hat nach diesem Studium noch eine normale Sensibilität für Tierleid?

Tierversuche sind mit der Tiermedizin und dem Tiermedizinstudium eng ver¬bunden. Während des Studiums werden wir häufig mit Tierversuchen konfron¬tiert, z.B. mit Tieren, denen Öffnungen in den Bauch operiert und Stöpsel hin¬eingesteckt werden, damit man sie je¬derzeit als lebende Messinstrumente nutzen kann. Wobei dies ja noch die „harmloseren" Versuche sind. Das Stu¬dium kann nur ertragen, wem es gelingt, Mitgefühl wenigstens partiell abzu¬schalten. Manche sollten allerdings nicht vergessen, es im passenden Mo¬ment wieder einzuschalten!

Sehen wir uns diverse tiermedizinische Doktorarbeiten an, so muss man sich fragen: „wie kann jemand so überlegt und eigenhändig grausam gegen Tiere sein und sich trotzdem als berufener Tierschützer fühlen", Beispiele finden sich in den verschiedenen Online-Bi¬bliothelcen oder unter www.datenbank¬tierversuche.de.

Tierärzte, Ärzte und Biologen - Berufs¬gruppen, die häufig Tierexperimentato¬ren hervorbringen - wissen, dass der Mensch nur eine von vielen Tierarten ist. Wir kennen uns mit Entstehung und Ablauf der Schmerzreaktion ziemlich gut aus und wissen, dass Tiere in Bezug auf Schmerzempfinden und Leidensfä¬higkeit große Ähnlichkeit mit Menschen aufweisen. Ganz im Gegensatz übrigens zu vielen anderen Reaktionen der Ver¬suchstiere! Tiere leiden vermutlich so¬gar mehr als Menschen, denn sie ken¬nen keine Hoffung und können sich nicht ablenken.

Für Menschen in vergleichbaren Situa¬tionen wird eine gerechte und gleiche Behandlung gefordert. In Bezug auf Tiere werden wir jedoch unlogisch, ob¬

wohl wir wissen, dass sie ähnlich wie wir leiden, sagen wir „es sind ja nur Tiere". Zum Glück wächst die Zahl derer, die dort, wo Tiere dem Menschen äh¬neln, diese auch ähnlich behandelt se¬hen wollen und sich aktiv für Gerechtig¬keit einsetzen.

Wir Tierärzte haben Jahre damit ver¬bracht zu erlernen, wie man Tiere wehr¬los macht, ihnen Nasenringe einzieht, Kühen die Hörner vom blutenden Schä¬del sägt, Ferkeln ohne Betäubung die Hoden abschneidet. Wer behauptet, Ausbildung und Praxisalltag hätten keine Abstumpfung zur Folge, ist nicht ernst zu nehmen.

Wir haben gelernt, im Rahmen der Ge¬setze zu quälen und zu töten und wir profitieren angesichts des derzeit üb¬lichen Umganges mit Tieren vielfältig vom Tierleid.

Beides und nicht zuletzt Angriffe aus den eigenen Reihen erschweren es uns enorm, für Tiere aktiv zu sein. Ich finde, wir sollten das zugeben - und etwas da¬gegen unternehmen.

Es gibt Tierärzte, denen Tierschutz wirk¬lich wichtig ist, und die bestehende Zu¬stände nicht schweigend hinnehmen wollen. Wir würden uns freuen, wenn sich weitere Kollegen finden würden, mit denen wir gemeinsam Wege suchen können, um unbefriedigende Situatio¬nen anzugehen und zu verändern.



Astrid Reinke, Gütersloh

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  • Erstellt von Silvia In der Kategorie Allgemein am 06.07.2013 12:12:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 06.07.2013 12:12
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